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Gedanken des Autors

 

Dieser Film hat mir mehr als alle anderen Filme bisher bewusst gemacht, dass es beim Filmen immer auch um einen Wettlauf mit der Zeit geht. Die Zeit, die wichtigen Bilder einzufangen, die Zeit mit den verfügbaren Mitteln das Material zu ‚bekommen’, zu sichten und dann zu einem Film zu gestalten.

Durch den plötzlichen Tod von Shizuko kam eine absolute Zeitdimension hinzu. Obwohl ganz anders geplant, stand uns schliesslich nur das während meines ersten Japanbesuchs gedrehte Material und das Material vom Abschied von Shizuko für die Montage zur Verfügung. Die Möglichkeit, nach Shizukos Abschied,  erneut nach Japan zu reisen, um am Film weiter zu arbeiten war durch die strikten Einreiserestriktionen in Japan nicht mehr möglich. Ich habe deshalb ein Team in Japan engagiert, das mit Toshio und Sabu weiter drehen sollte. Das ist auch geschehen, doch leider konnten wir das so entstandene Material praktisch nicht verwenden. Der junge Kameramann hatte sich in keiner an die Regieanweisungen gehalten.... So machten wir den Film mit dem wenigen Material von meinem ersten Besuch und von Shizukos Abschied (ca. 8 Std. Rohmaterial inkl. aller Interviews).

So hat das Material selbst die Form dieses Films erzwungen. Ich erlebte das Erstellen dieses Filmes nicht so, wie das bis anhin immer der Fall war, im Sinne eines Fertig Machens, sondern eher im Sinne eines Verlassen-Müssens.

 

 

Auslöser um mit den beiden Protagonisten Kontakt aufzunehmen waren meine Irritation, Faszination und Neugier. Die erste Begegnung hatte ich in einer Videoperformance in der Sezession in Wien, die von einer österreichischen Künstlerin präsentiert wurde. Einerseits war ich fasziniert von ihrem Selbstverständnis und der wilden Spontaneität ihrer Musik ,auf der anderen Seite fühlte ich mich nicht in der Lage dieses Tun einzuordnen. Bei meinem dreiwöchigen Besuch in ihrem Haus in Kawasaki erlebte ich zwei eindrückliche, alte Menschen – und ihren Sohn - mit ihrer ausgelassenen, Grenzen sprengenden Fantasie und ihrem grossen Freiheitswillen und konnte gleichzeitig ihre starke Verwurzlung mit ihrer Kultur erleben.

 

Der Kontakt mit dem Improvisationsduo konnte durch die Hilfe des in Japan lebenden Kamermanns Roger Walch hergestellt werden. Durch ihn erfuhr ich, dass Toshio und Shizuko schon in Kürze ihr Abschlusskonzert in einem Jazzklub in Yamagata geben wollte. Das war der eigentlich Auslöser für meine Reise. Ich bin Roger sehr dankbar für all seine Hilfe, die er zur Realisation dieses Filmprojekts geleistet hat. Er hat nicht nur dazu beigetragen, dass der Kontakt zu den Protagonisten hergestellt werden konnte, sondern hat als Übersetzer, Kamermann und Kulturvermittler mitgeholfen. Da meine Protagonisten kein Englisch sprachen und ich kein Japanisch, war die Hilfe eines Übersetzers von sehr hoher Bedeutung. Zudem konnte ich durch Roger Walch und einen japanischen Kamermann auch einen schnellen Zugang zu den nicht leicht zu durchschauenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten finden. Roger Walch führte dann auch die weiteren Dreharbeiten durch an denen ich wegen der Corona-Restriktionen nicht direkt teilnehmen konnte. Leider war es dann so, dass die von einem uns unbekannten jungen Kameramann gelieferten Aufnahmen für den späteren Schnitt praktisch nicht verwendbar waren.

 

Die Zeit mit Shizuko und Toshio ermöglichte mir ganz unerwartet einen tiefen Ein-Blick hinter einen Vorhang in die sehr intime Lebenssituation eines betagten Improvisationsmusiker-Paares, aber auch einer mir fremden Kultur. Ganz im Sinne ihres offenen Hauses war ich bereits nach kurzer Zeit ein Teil ihrer Familie. Dabei interessierte ich mich für ihr Leben, war aber auch irritiert über ihren Umgang mit ihren Ritualen und dem scheinbar sehr spontanen Aufgreifen alter Kulturformen, was immer wieder in spielerischer Weise geschah. In den Gesprächen, die ich mit der Hilfe einer Übersetzerin führen konnte, wurde bald klar, dass es nicht möglich sein würde auf all die ausgelösten Fragen Antworten zu bekommen. Ich folgte ihrem Hinweis einfach da zu sein und zu sehen, was es mit mir machen würde und entschied, ihre Gastfreundschaft in der Weise anzunehmen, dass ich einfach zusah und insbesondere dem Ausdruck ihrer Gesichter, die wie zu offenen Fenstern wurde, vertraute. Ich ging nicht darum das Geschehen mit dem Kopf verstehen zu wollen, sondern darum mich einfach dem Geschehen zu „überlassen“ um zu sehen, was es mit mir machen würde.

 

Ihre Expressivität in den Performances und in der Musik, die mich an die Holzschnitte der Expressionisten erinnerte, trug beim Sichten des Materials dazu bei, dass ich mich entschied den Film in Schwarz-Weiss zu gestalten. Durch den Wegfall der Farben fällt alles Unwichtige weg. Dieses Weglassen führte gleichzeitig zu einer starken Konzentration auf die Gesichter. Speziell Shizukos Gesicht schien mir wie ein Fenster zu werden, das mir einen Blick in ihre Seele zuliess. Das Weglassen der Farbe betont auch das Einfache, das ihr Alltagsleben prägt

 

 

Im Lauf der Zeit und dann auch im Schneideprozess, erkannte ich, dass es sich hier nicht nur um ein Portrait von zwei speziellen Menschen und ihrer künstlerischen Aktivität geht. Es geht hier auch um ein Bild der Zerbrechlichkeit. Die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers, aber auch die Zerbrechlichkeit einer Vision. Diese Zerbrechlichkeit erlebte ich in der Ambivalenz ihres radikal gelebten Selbstverständnisses, jenes Leben zu leben, das sie mit ihrem Sinn erfüllte und ihrer Einsicht, die gesteckten hohen (politischen) Ziele nicht wirklich erreicht zu haben. Es liegt nun an den Betrachtern des Films sich zu fragen worauf sie ihren Fokus setzen wollen. Wollen sie zwei altgewordene Punks in ihrer vielleicht etwas naiv scheinenden Wildheit sehen, oder einen Lebensentwurf entdecken, der vielleicht dazu einlädt zu fragen: Lebe ich wirklich das Leben, das mir wichtig ist? Oder warum ist mein Leben so eintönig? Verfolge ich das was mir meinen Sinn vermittelt? Oder vielleicht sehnen wir uns ja alle irgendwie auch danach, gelegentlich auch mal dem Un – Sinn von versponnen Kindern nachzuleben.

 

In einer ersten Phase, nachdem mir klar wurde, dass das vom jungen Kamermann gedrehte Material kaum zu gebrauchen war, haben Samuel Kellenberger und ich begonnen einen ersten Rohschnittfassung zu erstellen. Dabei haben wir fast alles verwendbare Material benutzt. Während mehreren Wochen arbeiteten wir mit einer japanischen Übersetzerin, die mit uns am Schnittplatz sass. Diesen Rohschnitt habe ich der Cutterin Franziska Schlienger übergeben, die nochmals während ca. 12 Wochen, erneut mit der Hilfe von japanischen Übersetzern, den Feinschnitt erarbeitete. Aufgrund meiner Erfahrungen mit Franziska, aber auch aufgrund meiner Intention, dass für diesen Film ein fremder Blick besonders wichtig sei, entschied ich mich Franziska die volle Verantwortung für den Feinschnitt zu übertragen. Mir scheint es sei ihr sehr gelungen ein stimmiges Gleichgewicht zwischen Alltag, Poesie, Kraft und Zerbrechlichkeit zu finden.

 

Toshio und Shizuko, die bis zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl mit Elektronik – im Sinne der Noise-Music – experimentiert hatten, entschieden sich aufgrund dieser Katastrophe auf jegliche elektrischen Mittel zu verzichten und nur noch akustisch zu spielen. Ganz Punks, hatten sie sich – nicht ganz freiwillig - entschieden sich vom konsumorientierten-materialistischen Denken zu verabschieden. Indem sie gängige Konventionen aufgegeben haben, haben gleichzeitig etwas neues bekommen. Sie waren materiell arm, hatten aber einen grossen Freundeskreis, ganz im Sinne von „caring neighbors“. In ihrer Kunst liessen sich vom inneren Vertrauen führen, das sie zunehmend auch wieder den Bezug zu den traditionellen Kunstformen herzustellen liess. Aus ihren jugendlichen Anfängen gegen die bestehende Ordnung zu rebellierten, entwickelte sie zunehmend ein Leben als Umweltaktivisten, das sie mit Sinn erfüllte.

 

Ich hatte in Japan einen sehr sympathischen, etwas wortkargen Kameramann angeheuert. Er kannte das Paar überhaupt nicht und war bereits nach den ersten Drehtagen sehr verwirrt. Er meinte, das seien einfach zwei Naive, die nicht bereit seien zu denken. Ihm sei das alles zu oberflächlich. Er war desorientiert, so wie auch ich das anfangs gewesen bin. Ich fragte ihn, ob es nicht insbesondere in der japanischen Gesellschaft auch eine Notwendigkeit sein könnte, grundsätzlich mal desorientiert zu sein. Es gibt diesen grossen Satz „Ich denke, also bin ich.“ Aber sollten wir uns nicht auch fragen, ob der Satz “Ich denke nicht, also bin ich“ gelegentlich nicht ebenso berechtigt und SINN – VOLL sei?

 

Es gibt noch diesen anderen grossen Satz: Das Ich ist auch ein anderer, eine andere.“ Regt dieser Satz nicht auch dazu an, sich selbst zu fragen, ob es da nicht noch jenes gebe, das wir, den Konventionen folgend, zu leben verweigern. Ich verstehe zwar, dass man sich durchaus auch weigern kann, sein ICH noch mit jemandem zu teilen, das kann vermutlich genauso sinnvoll sein.

 

Unser Gespräch beschäftigte sich auch mit der grundsätzlichen Frage ob man seine Protagonisten lieben müsse und wie man damit umgeht, wenn sich Menschen vor der Kamera ganz öffnen und einem Einblicke gewähren, die ganz ungeschönt und ehrlich sind. Ich bin der Meinung, dass man als Filmemacher nicht die Philosophie der Protaganisten teilen muss, aber man muss sie respektieren und achten dafür, dass sie einem als Gast an ihrem Leben teilnehmen lassen. Was man mit einer solchen Erfahrung macht, das ist jedem seine eigene Sache.

 

Ich bekam zunehmend den Eindruck, dass ihre Musik nicht primär ans Ohr gerichtet ist sondern an den Körper. Sabu spricht vom Klang seiner Mutter und der Resonanz im Körper. Ihr Ausdruck soll sich auch im Körper der Zuhördenden manifestieren. Toshio spielt eigentlich Schlagzeug auf dem Klavier, sein Spiel ist sehr körperlich. Der Atem der Shakuhachi Flöte ist der Boden für den Klang. Den Schrei von Shizuko schien mir aus einer kaum zu erahnenden Tiefe ihres Körpers zu stammen und erschien mir zunehmend wie ein Requiem. Ihre Musik schien mir plötzlich weit mehr zu sein als Ausdruck ihres Freiheitswillens. Mir schien sie beinhalte genauso den Schmerz über die verlorenen irdischen Paradiese, aber auch über die nicht in Erfüllung gegangenen Visionen.

 

Nach dem Abschied von Shizuko gibt es diese Szenen, wo die Freunde mit Toshio und Sabu feiern. Da kommt es zu einem wilden, ekstatischen Tanz von Sabu. Doch plötzlich tritt Stille ein. Diese Stille wird wie zu einem ganz eigenen Geräusch. Vielleicht als Vorbereitung für das was noch kommt.

 

Shizukos Abwesenheit ist eine Form von Stille, die Stille ihrer Sprache, ihres Gesangs, aber das bedeutet nicht unbedingt eine Leere. Dieser Frage wollte ich eigentlich nach dem Sterben von Shizuko nachgehen. Wie würden sie mit dieser Stille, mit dem Fehlen dieses so wesentlichen Elements in ihrer Balance leben können, resp. eine neue Balance zwischen Vater und Sohn erschaffen.

 

Die Erfahrung der plötzlichen Abwesenheit von Shizuko war wie eine Welle, die uns alle überfallen und uns die Endgültigkeit bewusst gemacht hat. Auf und ab, auf und ab, kommen und Gehen, die Gezeiten. Es war uns wichtig, diese Bilder des Meeres, der Wogen, seiner Launen, auf der einen Seite - und dem Blick hinaus -  als andere Seite - unsere Ahnungen, unsere Wünsche, unsere Vorstellungen, an den Beginn und ans Ende des Films zu stellen.

 

Wenn es die Möglichkeit zugelassen hätte, wäre der Fokus bei meinem weiteren Besuch darauf gerichtet gewesen, was sich hinter diesem Schrei, diesem „Requiem versteckt.

Insgesamt wurde ich in diesem Filmabenteuer einmal mehr an etwas sehr Grundsätzliches erinnert: Alles verändert sich, Du weißt nie wirklich was kommen wird, finde das, was Dich mit Deinem Sinn erfüllt, finde es heraus, vielleicht musst Du dafür etwas anderes loslassen.

 

 

 

Thomas Lüchinger

15. Januar 2023

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